Lange Potenzialwellen der Kommunikation

Als Folge der globalen Eigenschaft des Webs entsteht eine Infrastruktur für die Koordination von Arbeitsabläufen, Märkten, Unternehmen oder Staaten auf der ganzen Welt. Für den unternehmerischen Erfolg ist neben der Koordination außerdem das Know-how von grundlegender Bedeutung. Nikolai D. Kondratieff beschreibt mit seiner Theorie der langen Wellen der Wirtschaft die Entwicklung einer neuen Basistechnik über die Förderung eines neuen Wachstumspfads bis hin zu der Entstehung eines wirtschaftlichen Fortschritts.

Die westliche Wirtschaft gründet auf Naturwissenschaft und Technik. Die mit dem Internet erreichte qualitativ neue Stufe der Produktionsmöglichkeiten schafft die Basis, auf der die Unternehmen neue Potenziale zur Steigerung ihrer Erträge erschließen können. Unter diesem Aspekt ist das Internet als Basisinnovation Ausgangspunkt einer neuen, tragfähigen Potenziallinie. Die aus bisher verschlossenen Potenzialen getriebene Entwicklung der Ökonomie im Medium Internet fügt sich dabei nahtlos in das Entwicklungsschema der langen technischen Wellen seit dem Beginn der Industrialisierung ein.[1] Es sind aber auch zwei traditionelle Aspekte zu beachten: Steigerung der Umsätze und Reduktion der Kosten im Unternehmen. Denn letzten Endes gilt auch hier das ökonomische Prinzip.

Auslöser neuer Wachstumslinien sind Basisinnovationen, die einen Nutzen auf eine neue Art und Weise besser, schneller und meist auch billiger verfügbar gemacht haben. Die Nutzen sind im Grunde bekannt, zum Beispiel temperierte Wohnung, Essen, Kommunikation, Fortbewegung, Gesundheit oder auch Bildung. Für den Entwurf der Ökonomie des Web-Business ist die Frage zentral, wie der Nutzen der Kommunikation, der Interaktion oder Transaktion für den Anwender besser, schneller und billiger bereitgestellt wird. Die Weiterentwicklung der Prozesse zur Befriedigung des gleichen Nutzens leitet sich dabei aus den Charakteristika der neuen Basisinnovation ab.

Der russische Ökonom Nikolai D. Kondratieff hat eine Theorie der langen Wellen der Wirtschaft aufgestellt und ökonometrisch nachgewiesen.[2] Nach seinen Untersuchungen steht am Beginn einer solchen Welle eine neue Basistechnik, die sich im Markt in einer Vielzahl von Innovationen, verbesserten technischen Prozessen und neuen Produkten durchsetzt. Diese Basistechnik prägt und fördert einen neuen Wachstumspfad. Um die Kerntechnologie herum entstehen neue Wertschöpfungsketten, die den wirtschaftlichen Fortschritt antreiben.

Das Phänomen der Wellen wurde von verschiedenen Seiten beleuchtet. Im Ergebnis wurde das Entwicklungsmodell des Lebenszyklus vom Werden und Vergehen immer bestätigt. Jede Technik nimmt diesen natürlichen Verlauf.

Der erste Kondratieff Zyklus wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Dampfmaschine eingeleitet. Sie war der Antrieb für den Maschinenbau, den Bergbau, die Verhüttung von Metallen und die große Branche der Textilindustrie. Mobile Dampfmaschinen revolutionierten aber auch das gesamte Transportwesen mit der Verbreitung von Eisenbahnen und Stahlschiffen. Nur dadurch konnte die Erhöhung, Beschleunigung und Verbesserung der lokalen Produktion marktwirksam werden, denn die Produkte konnten kostengünstig und schnell von einem Ort zum anderen transportiert werden.

Im gleichen Zyklus ging mit der Verbesserung des Transportwesens eine Neuorganisation der Kommunikation einher. Dem Transport gehen notwendigerweise die Information über ein Angebot, die Vertragsverhandlung und das konkrete Kaufgeschäft voraus. Die Kommunikation begleitet den Wirtschaftsprozess und ermöglicht den Abgleich von Angebot und Nachfrage nach den Gütern. Aus diesem Grund sind die Effizienz der Kommunikation, ihre Sicherheit und Geschwindigkeit ein Katalysator für die wirtschaftliche Entwicklung der Industriekultur.

Das gilt auch für den zweiten Kondratieff-Zyklus, der vom Stahl und den Eisenbahnen geprägt ist. Er begann etwa um 1860. Er zog den Bau von Brücken, Waffen, Maschinen, Verbrauchsgütern und einen allgemeinen Ausbau der Transportwege nach sich. Diesem folgte die Elektrotechnik mit einem Ausbau der Antriebstechnik, der Rundfunk- und Fernmeldetechnik, der Erzeugung von Elektrizität, von Lichttechnik und Haushaltsgeräten. Auch dadurch wurde der Transport von Gütern und von Informationen auf ein qualitativ neues Niveau gehoben.

Etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich die Verbesserung der Transporte und der Kommunikation in der Automobiltechnik fort. Mit ihr erhielt die Petrochemie Aufschwung, die den gesamten chemischen Erzeugungsprozess beflügelte. Im Zuge der stürmischen Verbesserung von Kommunikation und Logistik erblühten der Handel, das Bankwesen und der Dienstleistungssektor im Allgemeinen.

Damit wurde ein großer Schritt in die Dematerialisierung der Wirtschaft getan. Dieser Trend setzte sich mit der Herausbildung der Informationstechnologien fort. Die Spezialisierung der wirtschaftlichen Produktion nahm zu und damit wuchs der Bedarf an Koordination. Produktionswissen wurde durch Koordinationswissen ersetzt oder zumindest wurden beide Wissensbereiche gleichwertig. Aus heutiger Sicht ist die Frage schwer zu klären, ob die Entwicklung der Kommunikation eine Rahmenbedingung für die Spezialisierung war. Schließlich sind die Produkte und Techniken der Kommunikation doch im bestehenden wirtschaftlichen Umfeld gereift, produziert und vermarktet worden. Für das Thema Web-Business ist die Klärung von untergeordnetem Interesse.[3]

Die Potenziale des Internets als neuer Infrastruktur der Kommunikation entfalten sich im Koordinationswissen. Die Bedeutung des Netzwerks erschließt sich bereits aus der  Synergie von Produktwissen und Koordinationswissen. Beim Blick auf die langfristigen technischen Zyklen unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation sind die gewachsenen Möglichkeiten der Übermittlung von Informationen erkennbar. Mit verbesserter Kommunikation wird die Organisation der Arbeitsteilung erleichtert, womit in der Folge die ökonomische Bedeutung des Koordinationswissens zunimmt. Das gilt für jede Betrachtungsebene, auf der Arbeitsteilung zu organisieren ist. Der einzelne Arbeitsplatz wird heute kaum noch als Funktion beschrieben, wie Buchhaltung, Qualitätskontrolle oder Verkauf. Vielmehr wird der Teamarbeiter mit kommunikativen Fähigkeiten gesucht. Er ist ausgebildet in der Nutzung moderner Kommunikationstechniken, kann Mitarbeiter über funktionale und räumliche Grenzen hinweg in einem virtuellen Team zusammenbringen und verfügt über soziale Kompetenz.

Das Kommunikationsnetz ermöglicht die Koordination von Arbeitsergebnissen über die Abteilung und das Unternehmen hinaus. Als ein Anwendungsbeispiel des Webs wird zunehmend die Bildung virtueller Unternehmen genannt, die nicht an Ländergrenzen haltmacht, denn das Web ist eine globale Anwendung. So bildet das Netz heute bereits eine Infrastruktur für die weltweite Koordination von Arbeitsprozessen, Märkten, Konzernen oder Staaten. Ronald Coase hat dem Koordinationswissen einen Wert zugeschrieben und bezeichnet diese messbare Größe als Transaktionskosten.[4]

Die Transaktionskosten sind durch die Kosten der Informationsverarbeitung und -übermittlung wesentlich bestimmt. Letztlich wird mit der Kommunikation Wissen bei den Teilnehmern aufgebaut und auf Informationsträgern gespeichert. Deshalb ist die Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten von essenzieller Bedeutung für eine arbeitsteilige Wirtschaft. Jede Spezialisierung erhöht die Komplexität des Systems und erfordert steigenden Koordinationsaufwand. Durch die Erleichterung der Koordination mithilfe von Computern und Netzwerken hat der Unternehmer neue Wahlmöglichkeiten zwischen eigener spezialisierter Arbeit und Outsourcing. Angesichts der schnellen Verbreitung von wettbewerbssteigernden Informationen wird er sogar ökonomisch unter Druck gesetzt, eigenes Personal einzusparen und fertige Arbeitsergebnisse einzukaufen.

Jeder Prozess im Web-Business hat seine eigene Kombination von Arbeitsaufwand und Koordinationsaufwand im weiteren Sinne. Zu Letzterem zählt vor allem die Anwendung von Wissen. Die zugehörigen Kosten werden in der Ökonomie einerseits den Arbeitskosten zugerechnet und andererseits den Transaktionskosten.[5] Der Begriff der Transaktionskosten fällt aus dem Rahmen der klassischen Produktionskosten im weiteren Sinne heraus. Die herkömmlichen Produktionsfunktionen bilden typischerweise Kapital und Arbeit als Produktionsfaktoren ab. In den tatsächlichen Betriebsabläufen und Kostenrechnungen fällt jedoch Aufwand an, der keinem der beiden Einsatzstoffe zugerechnet werden kann. Dazu gehören Kosten des Einkaufs mit Informationsbeschaffung, Verhandlungen, Abschluss und Vertragsprüfung, Kosten für die Marktforschung, die Werbung, den Markenaufbau oder die Kundenbindung, die Logistik, das Vertragswesen, die Rechnungserstellung, die Bonitätsprüfung oder den Zahlungsverkehr.

Unter diesem Gesichtspunkt folgt aus der Fortführung des Kondratieff-Konzepts in den 5. Zyklus, die Informationstechnik, eine wesentliche Verbesserung der Produktionsmethoden, die wiederum die Wertschöpfung jeder ökonomischen Einheit bis zur Aggregation in die Weltwirtschaft massiv beeinflusst. Eine tiefgreifende Veränderung der Wertschöpfungspotenziale war für Kondratieff das hauptsächliche Merkmal eines langfristigen Zyklus. Die Grundstruktur des Internets ist die Verbindung von Computern über Datenleitungen. Insofern kann ohne Weiteres argumentiert werden, der jetzige Zyklus der Informationstechnik beinhalte den Ausbau des Netzwerkes. Es besteht jedoch Unsicherheit darüber, ob die Computertechnik und das neue Kommunikationsnetz Internet zum gleichen langfristigen Zyklus gehören oder eigene Zyklen beschreiben. Der Unternehmer weiß nicht, in welchem Zyklus er gerade agiert, denn diese Information ist keine quantifizierte Randbedingung für die betrieblichen Optimierungsaufgaben. Das Denken in Potenzialen mit der Bestimmung der eigenen Position und den daraus folgenden Ertragserwartungen wird in der ökonomischen Theorie zur Nutzung der technischen Innovationen nicht behandelt.

Die konzeptionelle Basis der langfristigen Entwicklungszyklen ist also keine zeitlose Theorie mit Prognosetauglichkeit, sondern eher eine Ex-post-Beobachtung mit plausiblem Erklärungsansatz. Für strategische Überlegungen zu den Chancen und Möglichkeiten des neuen Mediums werden die Entwicklungslinien nach Gemeinsamkeiten und Mustern abgesucht. Auf der Basis solcher Erkenntnisse wird eine Übernahme der speziellen Vorteile des Internets in die eigenen Prozesse mit größerer Wahrscheinlichkeit ökonomisch erfolgreich. Der ursprüngliche Ansatz Kondratieffs hatte einen rein deskriptiven Charakter und maß die ökonomischen Größen lange nach der Dynamik der Welle.

Mit Beginn der Industrialisierung wurde Arbeit massiv durch Energie substituiert. Zur Nutzung der Energie in den Maschinen war für diese Zeit erheblicher Kapitaleinsatz notwendig. Der Einsatz von dampfgetriebenen und anderen Maschinen setzte eine unglaubliche Steigerung der Effizienz mit einer Kostendegression im Produktionsprozess in Gang. Wurden vorher Güter durch den Einsatz von Natur und Arbeit produziert, so erweiterten die Ökonomen die Betrachtung seitdem um den Faktor Kapital.

Die Verbesserung der Transportmittel mit Eisenbahnen, Autos, Flugzeugen und anderen Verkehrsmitteln brachte einen weiteren Entwicklungsschub. Kommunikation und Koordination von Produktionsmitteln wurden weiter erleichtert. Zur Herstellung konnten nun spezialisierte und weiter entfernte Zulieferer eingesetzt werden. Aber auch die entfernten Märkte standen für den Absatz zur Verfügung. Das erhöhte die Erträge und senkte die Kosten in allen Sektoren der Wirtschaft. Zugleich wuchs jedoch auch der Koordinationsaufwand. Organisationsstrukturen und Fertigungsverfahren wurden entwickelt, um die neuen Potenziale zu nutzen. Fließbandarbeiten und Massenproduktion wurden verfeinert. Der Koordinationsbedarf wuchs weiter.

Telefon, Radio, Fernsehen und Kommunikationsmittel trugen die Informationen über Güter zu den Abnehmern in der Wirtschaft. Medien konnten genutzt werden, um Bedürfnisse zu wecken und Märkte zu erreichen. Andererseits verschafften sich auch die Unternehmen Informationen für ihre Aufgaben und Prozesse und verringerten ihre Kosten drastisch. Die Kommunikationstechnik war jedoch auf die Aussendung von Informationen oder allenfalls auf eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation beschränkt. Dies änderte sich erst mit der Einführung von Computern und ihrer Vernetzung. Das Web verbindet weltweit Rechner und schafft damit eine Plattform für interaktive Kommunikation mit einer vernetzten Rechenleistung. Es reduziert die Kosten der Informationsbeschaffung auf ein vorher für unmöglich gehaltenes Minimum. Kommunikation und Koordination ermöglichen weitergehende Spezialisierung und damit Kostensenkungen.[6] Vor allem die Kosten der Koordination werden mit den Informations- und Kommunikationstechniken reduziert. Die Produktionsmöglichkeiten werden nun eher als eine Funktion des Arbeitseinsatzes und der Nutzung von Information und Know-how diskutiert. Natur (oder Boden) spielt in einer Dienstleistungsgesellschaft keine zentrale Rolle mehr, ebenso wenig ist Kapital noch ein begrenzender Faktor. Mit wenig Investment in Maschinen und viel Know-how wird ein Unternehmen eher erfolgreich als umgekehrt.

Als Ergebnis folgt daraus der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft, weil Arbeitsteilungen und Spezialisierungen mit Computern und Netzwerken leichter zu koordinieren sind. In der arbeitsteiligen Wirtschaft entstehen nicht notwendigerweise neue Dienste, eher werden bestehende Aufgaben disaggregiert und in selbstständig bilanzierte Gesellschaften ausgelagert, in denen die Transaktionskosten sinken.[7] Die beschriebenen Stadien in den langen Entwicklungslinien nach Kondratieff sind sicher eine grobe Vereinfachung. Im Detail gibt es viel mehr Linien dazwischen und die technische Entwicklung ermöglicht in jeder Branche und in jedem Unternehmen eine Vielzahl von Verbesserungen in einzelnen Prozessen.

Das Schema soll vor allem den Verlauf der Wirkungen illustrieren. In der westlichen Gesellschaft basiert die Wirtschaft auf den technischen Entwicklungen. Das gilt sowohl für die wichtigen langfristigen Basiserfindungen als auch für technische Verbesserungen in einfachen Herstellungsprozessen. Deshalb werden als nächstes die Spezifika des Webs als Basisinnovation intensiv diskutiert und analysiert. Eine genaue Kenntnis des Potenzials der neuen technischen Möglichkeiten ist für den Erfolg im E-Business und speziell im Web-Business von grundlegender Bedeutung.

 

[1] An dieser Stelle wird nur kurz die Theorie der langen Wellen technischer Entwicklungen basierend auf den Überlegungen von Nicolai D. Kondratieff referiert.

[2] Kondratieff 1926: S. 573-609

[3] Die Evolutionstheorie benutzt den Begriff der Emergenz, wenn aus der Quantität eines Systems eine neue Qualität entsteht. So kann in Bezug auf die Evolution der technischen Entwicklung zur Übertragung von Informationen dem Zusammenwirken vieler medialer Produkte wie Bücher, Zeitungen, Postbriefe, Faxe, Radios, Fernseher oder Telefone die neue Qualität Kommunikationsnetz zugesprochen werden.

[4] Transaktionskosten

[5] Transaktionskosten sind eine Übersetzung der transaction costs und haben nicht die eingeschränkte Bedeutung des Abschlusses eines Geschäfts, sondern bezeichnen die Kosten eines Geschäftsvorfalls im allgemeinen Sinne. Der Terminus Organisationskosten oder Kosten für den Koordinationsaufwand ist treffender. Transaktionskosten wird im Text deshalb durch weniger einschränkende Begriffe ergänzt.

[6] So überträgt sich das Prinzip der Arbeitsteilung aus den ersten Überlegungen von Adam Smith mit veränderten technischen Methoden auf die wirtschaftlichen Prozesse.

[7] Vgl. Coase 1937: S. 386-405