Herstellung

Die Herstellung ist so virtuell wie die Güter selbst. In der industriellen Ökonomie wird Produktion im weiteren Sinne als Kombination der Einsatzfaktoren verstanden und in einem engeren Sinne als betriebliche Leistungserstellung.[1] Diese Hauptfunktion wird typischerweise in Beschaffung, Transport, Lagerhaltung und Fertigung untergliedert.

Bei virtuellen Gütern erhalten diese Teilprozesse eine andere Bedeutung oder fallen ganz weg. Lagerhaltung als Speicherung von Informationen ist bei mittelständigen Unternehmen kein bedeutender Kostenfaktor. Der Transport der Informationen im Web ist zu vernachlässigen. Die Beschaffung und die Fertigung erhält in der Synergie der Partner eine neue Qualität. Informationen werden zusammengefügt und zu neuen Gütern gewandelt, wie am einfachen Beispiel einer Suchmaschine nachvollzogen werden kann: Eine Webpräsenz wird von Crawlern ausgelesen, die Daten analysiert ein Parser, der sie in eine Datenbank stellt. Der Indexer sortiert und bewertet die Daten, in der Suchmaschine entsteht als neues Produkt die Ergebnisliste. Die Liste wird beim Aufruf individuell gefertigt, Rechenzentren übernehmen die Aufgabe des Lagers und der Transport ist eine virtuelle Übermittlung von Bits. Die Beschaffung wird unmerklich von der Software erledigt. Die alten Begriffe sind noch zu gebrauchen, lediglich ihre Bedeutung hat sich gewandelt.

Das Web-Business deutet die bekannten Begrifflichkeiten zum neuen Wirtschaftsmodell der postindustriellen Ökonomie um. Darin spielen andere Einsatzfaktoren und neue Akteure auf virtuellen Märkten bei vollkommenem Wettbewerb in neuen Formen der Arbeitsteilung eine Rolle.

Märkte existieren weiterhin, jedoch ohne lokale Verortung. Einsatzfaktoren bestehen ebenfalls nach wie vor, aber nicht der Boden. Produktionsfunktionen beschreiben die Herstellung, aber mit steigenden Grenzerträgen. Werbung gibt es weiterhin, sie wird aber in Abhängigkeit zum Erfolg abgerechnet.

Der Hersteller sucht nach Möglichkeiten. Er wird nicht durch Ressourcen begrenzt. Durch die Interaktion zwischen den Partnern werden die Möglichkeiten des Webs genutzt. Jeder neue Teilnehmer kann sofort auf das Potenzial der bisherigen Verbindungen im Netzwerk zugreifen. Er profitiert von den Netzeffekten, die ein überproportionales Wachstum der Kommunikationsmöglichkeiten offerieren.[2] Alle charakteristischen Eigenschaften des Webs führen zum für Ökonomen interessanten Phänomen des steigenden Grenznutzens. Jeder neue Teilnehmer steigert die Attraktivität des Netzwerkes und erhöht damit den Nutzen für alle Partner im Netzwerk.

Die allgemein anerkannten Maßstäbe zur Bewertung der Effizienz einer Technik stellen die Produktivitäten und das Preisverhältnis zu anderen Einsatzfaktoren dar.[3]

Im Web-Business geht die Kalkulation meist zugunsten der Informationstechnik bzw. des Wissens als Produktionsfaktor aus. Das Unternehmen versucht in den Prozessen, die Arbeitskräfte zu spezialisieren. Damit können die Qualifikationen in einigen Bereichen reduziert und die Arbeitskosten auf das Niveau von Hilfskräften gesenkt werden. Weit unter diesem Niveau liegen die Kosten der Computeranwendungen bzw. der Informationsverarbeitung. Sind die Arbeitsschritte soweit spezialisiert, dass sie von Computern erkannt, entschieden und bearbeitet werden, fällt sogar der Arbeitsplatz der Hilfskraft weg.[4] Auf der höheren Ebene steigt der Aufwand zur Koordinierung der Arbeitsergebnisse aus dem Computer. Mit der permanenten Substitution von Arbeit durch Informationsverarbeitung sinkt der Transaktionsaufwand. Der Prozess wird neu definiert und mit einer kostengünstigeren Kombination von Arbeits- und Koordinationsaufwand vorangetrieben. 

Mit dem Wachstum der virtuellen Märkte im Web-Business bieten laufend neue spezialisierte Unternehmen ihre Dienste an, auf die der Hersteller Teilaufgaben seiner Prozesse auslagern kann. Die Koordination der hinzugekauften Dienste stellt eine Herausforderung dar, sie senkt jedoch den Herstellungsaufwand, und mit jeder Verringerung der Transaktionskosten steigt die Produktivität.

Fallbeispiel First Copy Costs

Die Herstellung des vorliegenden Buches hat zu einem sehr hohen Prozentsatz Know-how und Arbeit erfordert. Die Erfahrungen sammelten sich in vielen Jahren an, sie wurden in Vorträgen und Vorlesungen erprobt und vervollständigt. In den letzten Jahren und Monaten vor der Fertigstellung wurden die Recherchen intensiviert und aktualisiert. Lektoren haben das Buch geprüft, den Text überarbeitet und Feedback zu Inhalt und Verständlichkeit gegeben. Mediendesigner haben an Grafiken und Layout gearbeitet und die Inhalte in eine druckreife Form gebracht. Webseiten wurden konzipiert und Modellrechnungen überprüft. All diesen Aufwand- und Kostenpositionen ist gemein, dass sie versunken sind. Sie lassen sich nicht wieder zurückholen oder ungeschehen machen. Lediglich die zukünftigen Erträge helfen, die Ausgaben zu amortisieren.

In der Medienwelt sind die versunkenen Kosten die First Copy Costs, und sie variieren in der Relation zu den Gesamtkosten in den einzelnen Mediengattungen.[1] Mit dem Begriff Fixkosten wird dieser Anteil an der betriebswirtschaftlichen Rechnung nur ungenügend beschrieben, denn die Fixkosten fallen in jeder Periode an. Das sind zum Beispiel die Personalkosten, das Lager und die Abschreibungen. Die versunkenen Kosten sind die Herstellungskosten, die Arbeit des Autors, des Lektors und des Grafikers, Layout, Lizenzen und Marketing.

Die First-Copy-Costs sind im Sinne des Namens die Kosten des ersten Produktes. Wenn es das einzige bleibt, konzentrieren sich alle Kosten auf dieses erste gedruckte Exemplar als eine Einzelfertigung. Aus der Kostenrechnung fallen die variablen Kosten wie Vertrieb, Rabatte, Druckkosten und das Autorenhonorar heraus. Auf diesen Wert fallen die Grenzkosten. Dabei ist es fast unerheblich, ob die First Copy Costs oder die Fixkosten durch die kumulierte Anzahl der abgesetzten Formulare dividiert werden. Die letzte abgesetzte Einheit kostet also die variablen Kosten und damit rund die Hälfte des Ertrages.[2]

Die erste Version des E-Books ist die Vorlage, nach der praktisch mit dem Abruf des E-Books oder des Musikfiles, des Videos oder des Bildes produziert wird. Sehen wir von den First-Copy-Costs ab, bestimmen die variablen Kosten bei den digitalen Gütern wie den E-Books das Marketing, die Rabatte und das Autorenhonorar. Es fällt auf, dass Marketing variabel kalkuliert werden kann, weil es erfolgsorientiert als Dienstleistung gekauft wird. Häufig ist es in dem Rabatt enthalten, wenn über große Plattformen verkauft wird, die selbst einen gut segmentierten und effizienten Vertriebskanal haben. Sie erhalten dann eine Provision für die Vermarktung, den Vertrieb und die Produktion des digitalen Gutes. Die Druckkosten sind gleich Null.

Jedes im Web-Business angebotene digitale Gut weist diese Kostenstruktur auf, sei es ein Softwareprogramm, Musik-, Video- oder Bilddateien, also jedes Gut auf einem Speichermedium. Im Marketing der Güter sind Kostendegressionen möglich, die in den vier wesentlichen Effekten im Web-Business begründet sind.[3] Bei virtuellen Gütern sind die Kostendegressionen noch ausgeprägter, denn sie benötigen noch nicht einmal ein Speichermedium. Der Zugang zur Information und werbefinanzierte Ertragsmodelle lassen sogar die Marketingkosten gegen Null sinken. Um auf den Ausgangspunkt der Buchherstellung zurückzukommen, wird der Text weder als Buch gedruckt, noch digital zum Download angeboten, sondern auf einer Webpräsenz abgelegt, wo er gelesen werden kann. Die Gebühr zahlt entweder der angemeldete Benutzer selbst oder Werbepartner für ihn.

 

[1] Zerdick 2001: 165 f.

[2] Diese Relationen sind diversen Veröffentlichungen im Web entnommen und wurden im persönlichen Gespräch mit Verlegern abgeglichen.

[3] Dem Netzeffekt, Lerneffekt, Bestandseffekt und Verbundeffekt.

Externe Dienstleister realisieren die optimale Kombination von Arbeits- und Koordinationskosten für viele Unternehmen im Web. Sie profitieren von den Lerneffekten und erzielen für ihre standardisierte Dienstleistung steigende Skalenerträge. Neben den genannten Netzeffekten ist das ein zusätzlicher Effekt, den das Web ermöglicht. Der Auftraggeber stellt keine Arbeitskräfte ein, die seine Erfolgsrechnung bei sinkender Auslastung verschlechtern. Er kauft die Ergebnisse bei Bedarf hinzu, variabilisiert seine Fixkosten und erhöht hierdurch seine Flexibilität.

Die Verteilung der Aufgaben auf unabhängige Dienstleister ist möglich, weil die Koordination der Einzelleistungen über das Web so einfach ist. Jede Ausweitung der Herstellung und jede Neuordnung der Prozesse bieten dem Hersteller die Chancen zu einer besseren Mischung aus Arbeit und Wissen. Das Web liefert den Rahmen zur Nutzung der Potenziale. Es stellt einerseits die Informationen über die neuen Angebote zur Optimierung der Herstellungsprozesse und -kosten bereit. Andererseits ermöglicht es die einfache Substitution der Einsatzfaktoren in der fast kostenlosen Kommunikation innerhalb des Netzwerks.

Die bekannte neoklassische Produktionsfunktion lässt sich auch für virtuelle Güter verwenden. Sie beinhaltet die elementaren Inputs Arbeit und Wissen, hier Koordinationswissen. Die Struktureffekte im Web-Business bringen steigende Grenzerträge mit zunehmendem Output hervor. Die duale Kostenfunktion reagiert auf die Preisrelationen der Einsatzfaktoren. Hierdurch wird Wissen (oder Koordination) vermehrt eingesetzt, da der Preis der virtuellen Güter im Web-Business günstiger ist als die Kosten beim Einsatz eigener Arbeit.

Für die Analyse im Web-Business sind weitere Grundlagen der postindustriellen Ökonomie vonnöten. Die veränderten Inhalte der zentralen Konventionen werden fokussiert, weil sie zu einer Neuinterpretation der vertrauten Begriffe führen. Zu Beginn wird ein zentraler Begriff für die Marktwirtschaft thematisiert, der mit der Entwicklung des Webs fundamental anders verstanden wird: der Markt.

 

[1] Vgl. ebd.: S. 347

[2] Information und Kommunikation

[3] Mitunter wird die Produktivität mit anderen Techniken verglichen, was dann zu grotesken Aussagen der Art führt, dass die entsprechende Produktivitätsverbesserung der Computerbranche im Fahrzeug zu der Reichweite eines Tropfens Benzin von 10.000 Kilometern führt.

[4] Auf diesem Entwicklungsstand ist die Kommunikation im Prozess dann M2M – Maschine zu Maschine.